(Mein) Berlin Marathon 2018

Der große Tag. Ein einhalb Monate hatte ich darauf hintrainiert. Drei Mal die Woche bin ich laufen gegangen. Habe keinen Alkohol getrunken. Sonntage für Longruns geopfert. Mein erster Marathon wollte ich unbedingt in Berlin laufen. Bereits meinen ersten Halbmarathon vor drei Jahren bin ich in Berlin gelaufen und werde ihn nie vergessen: Entspannt, weil ich genau auf eine bestimmte Zeit hintrainiert hatte, emotional, weil ich kurz vor dem Ziel noch eine Freundin getroffen hatte und mit ihr ins Ziel gesprintet bin. Irgendwie hatte ich gehofft, dass es diesmal ähnlich sein wird. Pustekuchen. Entspannt war es nämlich nicht. So gar nicht. Emotional dafür umso mehr.

Schon Wochen vor dem 16. September war ich so nervös wie lange nicht mehr. Mein Trainingsplan hat mich zwar darauf vorbereitet, dass ich ins Ziel kommt, allerdings ohne irgendwelchen Zeitzielen. Einschätzen konnte ich es vorab so gar nicht: Longruns mit einem 140er Puls (was einen Pace von ca. 7 min/km bedeutet), Intervalle bin ich auch mal mit 4:30 Minuten pro Kilometer gelaufen. Sollte ich einfach langsam laufen, um dann im Ziel zu merken, dass viel mehr gegangen wäre? Zu schnell laufen könnte aber auch fatal sein – was überhaupt ist zu schnell? Und was wäre langsam? Alles Fragen, die mein Trainingsplan nicht beantwortete und mich (und einen großen Teil meines Umfeldes) fast in den Wahnsinn trieben. Am Ende entschied ich mich die ersten 10 Kilometer im unteren Pulsbereich zu laufen und dann einfach zu schauen was geht und schneller zu werden. Irgendwie habe ich mich auf eine knapp unter vier Stunden Zeit eingeschossen. Spoiler: ebenfalls Pustekuchen.

08:00 Uhr: Treffen mit dem Marathon Team von Keller Sports. Die Jungs und Mädels hatten ihren Startplatz über die Keller Sports Smiles App gewonnen und da ich auch schon bei ein paar Events des Sportshops dabei war durfte ich mich hier für den Tag noch dazu schummeln. Wie unheimlich froh ich war nicht alleine zum Start zu müssen und mich vorab noch mit anderen Läufern austauschen zu können! Ziemlich sicher hätte ich mich alleine verrückt gemacht – so habe ich alle anderen nochmal mit unzähligen Fragen verrückt gemacht!

09:00 Uhr: Die Aufregung steigt, wir sind im Startbereich angekommen. Kurz die Kleidersäcke abgeben, nochmal die Schuhbänder binden, ein Gruppenfoto und ab in den Startbereich. Über 40.000 Läufer sind dieses Jahr an den Start gegangen, die Spannung, die in der Luft lag war einzigartig: Aufregung, Vorfreude, Angst, Stolz, Entschlossenheit. So viele Emotionen, die ich auch alle bei mir wieder finden konnte.

09:15 Uhr: Startschuss! Ein lauter Knall, unzählige Luftballons und die Elite lief los. Dass heute noch Weltrekorde gebrochen werden wussten wir nicht. Auch nicht was sonst auf uns zukommen würde. Jeder Marathon ist anders, alles ist möglich- das war das, was ich immer hörte. Manchmal zahlt sich monatelanges Training aus, manchmal spielt ab Sekunde eins der Kopf nicht mit und nichts klappt so, wie man es sich vorgenommen hat. Alles ist möglich! Ich interpretierte es für mich positiv: Alles ist möglich. Ins Ziel kommen, (m)eine Zielzeit schaffen. Dem Mann mit dem Hammer, unter dem ich mir bis dato noch gar nichts vorstellen konnte, erst gar nicht zu begegnen. Alles ist möglich.

09:50 Uhr: Endlich ging es auch für den vorletzten Startblock los, in dem ich mich befand. In meinem Bauch spielte sich ein Feuerwerk der Gefühle ab: Aufregung, Unwohlsein, Vorfreude. Ich wollte loslaufen und gleichzeitig erst gar nicht starten. Was, wenn ich es nicht schaffe, was wenn ich die Kraft, ins Ziel zu kommen gar nicht habe? Ich ließ mich mitreissen von den Läufern rings um mich herum und schob alle Gedanken weg. Einfach nur laufen. Nicht zu schnell, das war das wichtigste. Mein Trainingsplan hat mir einen Puls für die ersten 10 Kilometer vorgegeben, damit meine Muskeln nicht übersäuern. Noch während der ersten paar Kilometer rechnete ich, wieviel ich aufholen müsste, wenn ich jetzt tatsächlich die Pace von 6 min/km die ersten 10 Kilometer halten würde. Viel zu viele! Ich schob den Gedanken trotzdem weg und konzentrierte mich ausschließlich auf den Puls. Bis ich es ab Kilometer sieben nicht mehr aushielt: Ich wollte laufen und nicht entspannt joggen! Also zog ich an, erhöhte meine Pace auf bis zu 5:15 Minuten pro Kilometer. Ich hatte Spaß am Laufen, ich unterhielt mich mit anderen Teilnehmern, genoss den Lauf, die Sonne, die Strecke. Trotzdem hatte ich immer die Pace im Auge – ich wollte schnell sein.

11:50 Uhr: Der Halbmarathon ist geschafft. Über 21 Kilometer liegen hinter mir, ich hatte mich auf eine Pace von 5:45 hochgearbeitet. Ich war zuversichtlich, dass ich die 5 Sekunden auch noch schaffe und unter vier Stunden ins Ziel komme. Warum ich so auf die Zeit fixiert war kann ich im Nachhinein nicht mehr verstehen. Aber man lernt. Ich in dem Fall ab genau diesem Augenblick. Denn von einer Sekunde auf die andere wurde ich plötzlich langsamer. Ich merkte meine Gelenke, meine Beine wurden schwer und das Lachen wurde etwas angestrengter. Ich versuchte mich zusammen zu reissen, einfach weiterzulaufen und das Tempo zu halten, was immer unmöglicher war und ich klein beigab. Dann eben ein paar Kilometer langsamer, die Muskeln entspannen, den Gelenken Entlastung geben. Bei der Trinkstation erlaubte ich mir den Tee im Gehen zu trinken – ein großer Fehler. Plötzlich spürte ich meine Fuß-, Fersen- und Hüftgelenke so präsent wie noch nie. Jeder Schritt war schmerzhaft und es dauerte fast eine Minute, bis der Schmerz nachließ.

Langsam ging es weiter, die Zuschauer hörte ich fast nicht mehr, mein Lichtblick, die Cheeringzones von Freunden war unendlich weit entfernt – mehr als 10 Kilometer, ob ich es soweit überhaupt schaffen würde? Ich lief weiter, verfluchte mich für diese Idee, erlaubte mir keinen Blick mehr auf meine Uhr und versuchte einfach nur voranzukommen. Bei Kilometer 28 (oder war es früher?) traf ich dann den Mann, den ich vorher nur leicht belächelt hatte. Was ist das überhaupt für eine Assoziation, wie konnte man während dem Laufen das Gefühl haben, dass man „klein gemacht“ wird? Der „Mann mit dem Hammer“ kam so plötzlich, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschieht. Gerade bin ich noch so vor mich hingelaufen, wenn auch langsam, mit Schmerzen und nicht mehr so motiviert, im nächsten Moment hyperventiliere ich, bekomme keine Luft, spüre meine Beine nicht mehr und bin kurz vor einem Zusammenbruch. Ich merke, dass mir mein Atem wegbleibt, ich habe meine Körper nicht mehr unter Kontrolle, muss mich kurz setzen. Mir schießen Tränen in die Augen. Aufhören? Weitermachen? Atmen! Ich schloss die Augen, versuchte mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren, bekam sie wieder unter Kontrolle, stand langsam wieder auf, humpelte ein paar Schritte, Tränen kullerten, aus humpeln wurde laufen. Ich lief weiter. Zum Glück.

Der „Mann mit dem Hammer“ war zum Glück nur kurz zu Besuch, aber hat mir in diesen wenigen Minuten bewusst gemacht, was „Beim Marathon ist alles möglich“ heißt. Ich dachte ans Aufgeben und war enttäuscht, ich entschied mich fürs weitermachen und unfassbar stolz. Langsam ging es weiter, immer mehr bekannte Gesichter entdeckte ich an der Strecke, die mich von Kilometer zu Kilometer brachten. Die Euphorie, Freunde, die ich seit Jahren nicht gesehen habe am Straßenrand zu entdecken trug mich, ich wusste, Kilometer 37 und 39 ging in den Cheerinzones nochmal die Post ab und ich lief einfach weiter. Es sind die Leute am Straßenrand, die einen über die letzen Kilometer tragen und es ist die Vorstellung, wie man ins Ziel läuft – auch wenn es noch Kilometer weit entfernt ist.

13:50: Naja, sagen wir ungefähr 13.50 Uhr. Ich höre wieder meinen Namen von der Seite, will mich für den Support bedanken – und dann steht da Angi, mit der ich am Vortag schon die Strecke auf Inlinern gefahren bin. Eine meiner größten und „echtesten“ Inspirationen in der Socialmediawelt – steht da und ich sehe ihr Aufregung, die fast größer zu sein scheint, als meine eigene beim Start. Ich laufe einmal quer über die Bahn, muss mir eine Umarmung abholen, bevor es weitergeht. Na gut, vielleicht auch eine kleine Pause. Aber Angi zieht mich mit, „lauf weiter“, sie begleitet mich ein kleines Stück. Ich weiß gar nicht mehr was sie gesagt hat, aber es hat geholfen. Ich habe alle Schmerzen ignoriert und bin gelaufen. Immer das Brandenburger Tor im Kopf.

14:10 Uhr: Da war er. Der Zieleinlauf. Sogar mit Schlussprint. Auf einmal waren alle Schmerzen, alle Anstrengung, alle Zweifel weg. Ich wollte ins Ziel kommen, und lief, ein riesiges Lächeln auf dem Gesicht: Ich hatte es geschafft. Vor allem hatte ich meine Zweifel besiegt und bin 42,195 Kilometer gelaufen- so weit, wie noch nie zuvor.

Die Fragen aller Fragen: Werde ich nochmal einen Marathon laufen? Ehrlich? Ab Sekunde eins nach dem Zieleinlauf wusste ich, dass das nicht mein erster und letzter Marathon sein wird. Es wird einfach mein erster sein – der, den ich sicherlich nie vergessen werde und der, mit dem alles anfing. Was genau wird sich noch mit der Zeit herausstellen.

Nachtrag: Ich bin mit 4h 20 Minuten ins Ziel eingelaufen.


Photocredit: Pascal Rohe | KellerSports

7 Comments

  • Antworten November 28, 2018

    Oliver

    Moin,

    starkes Ding und Hut ab!! Du hast zwar etwas spät mit dem Training angefangen, aber am Ende lief es doch noch gut, trotz der Strapazen während des Laufs.

    Schöne Grüße aus Hamburg, Oliver

  • Antworten September 25, 2018

    Fabienne

    Liebe Linda,

    ein sehr emotionales Ereignis muss das für dich gewesen sein. Schön, dass du uns daran teilhaben lässt. Und herzlichen Glückwunsch zur Zielerreichung 🙂

    Liebe Grüße
    Fabienne

  • Antworten September 23, 2018

    Holger

    Danke für die sehr ehrlichen und spannenden Einblicke rund um Dein ganzes Wochenende. Was ich mich gefragt habe beim Lesen: Denkst Du, Du wärst ohne den Inliner-Marathon am Vortag besser durchgekommen? Und kannst Du sagen, wie Du Dich nach dem heftigen Hammer wieder auf die Beine gebracht hast? Kommt mir wie eine ziemliche Leistung vor, dass Du es danach ins Ziel geschafft hast…

    • Antworten September 24, 2018

      Lindarella

      Puh, kann ich nicht genau sagen, aber ich denke, dass die Beine schon weniger schwer gewesen wären…
      Ich habe alles um mich herum ausgeblendet, mich nur auf mich und meine Atmung konzentriert und mir vor Augen gerufen, dass ich entsprechend trainiert habe, dass ich das schaffen kann und mir bildlich vorgestellt, wie ich durchs Ziel laufe. Nachdem ich mich beruhigt habe, wurde „Aufgeben ist und war nie eine Option“ ein kleines Mantra, das mich wieder zum Laufen gebracht hat 😉

  • Antworten September 19, 2018

    Carina

    Wow Linda, was für ein emotionaler Lauf. Ich habe unter der Berlin Marathon App getrackt und deinen Weg verfolgt. Ich fand es so irre, wie du das gemacht hast. Von alle dem konnte man dort nichts sehen oder ahnen. Du bist so eine Powerfrau. Ich habe so viel Respekt vor dir. Freue mich so sehr für dich, dass du es durchgezogen hast. Und es hat mich so extrem motiviert. Bisher habe ich nur einen Halbmarathon geschafft, aber das zeigt mir auch mal wieder was alles möglich ist.
    Du hast das grandios gemacht!!!

  • Antworten September 19, 2018

    Stefanie

    Wahnsinnig spannender Bericht, super Zeit und super Leistung, schöhne Fotos! Freu Dich und Ruhe Dich aus! LG Stefanie

  • Antworten September 19, 2018

    Agnes

    Liebe Linda,

    Hut ab! Ich hab echt großen Respekt vor dir und deiner Leistung, du coole Socke! Dein Artikel ist super geworden, ich konnte richtig mit der mitfühlen…

    Bin schon auf deine nächsten sportlichen Herausforderungen gespannt!! Aber jetzt erstmal Füße hochlegen. 🙂

    Also Glückwunsch nochmal zu deinem Wahnsinns-Doppel-Marathon-Wochenende und liebe Grüße

    Agnes

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